Chronik Freiensteinau

Im November 2008 bekam der Webmaster Helmut Kersten vom Leiter der Gemeindebücherei Manfred Hoyer, einen Text mit der Überschrift "In der Chronik geblättert", er ist hier eingestellt.

Diese Kurzchronik hat Hans Döpping ca. 1963 erstellt, als er als Lehrer in Salz angestellt war.

 

In der Chronik geblättert
Schon 860 werden Salzaha (Salz), Flescumbach (Fleschenbach) und Steinaha (Freiensteinau) In der Chronik erwähnt. Freiensteinaus Geschichte ist also be­deutender als es die Einwohnerzahl aussagt, wenngleich auch die Menschen unseres Ortes weniger „Geschichte machten" als „Geschichte erlitten".

Nach der ursprünglichen Bauweise der Gehöfte soll unser Dorf von Alemannen gegründet worden sein. Sagen erzählen, die schweren Steine des Wintersberges zeugten noch von heidnischer Kultstätte. Warum heute diese Steine „Christkind­leins Wiege" genannt werden, bleibt der Auslegung des Lesers überlassen.

Beurkundet ist wohl, daß Freiensteinau seit etwa dem Jahre 1000 den grundherrlichen Rechten des Stiftes zu Fulda unterstand. Später zeigten die Herren Riedesel starkes Interesse an unserem Dorfe. Sie brachten es dergestalt zu starkem Einfluß, daß Freiensteinau bald Streitobjekt der beiden Parteien wurde, zumal die Riedesel 1525 evangelisch wurden und in ihrem Einflußgebiet die Pfarrsteilen mit Evangelischen besetzten. Freiensteinau blieb aber zunächst noch Im „fuldischen" Griff. Der 30jährige Krieg brachte es dann mit sich, das im Auf und Ab des Geschehens Freiensteinau diesem oder jenem Einfluß unterlag. Reformation und Gegenreformation mögen die Einwohner unseres Ortes in jener Zelt nach dem Nachtschlaf oft haben fragen lassen: „Sei mir haut evangelisch, oder sei mir haut katholisch?", während „fuldische Mannen" gegen „riedeselische Untertanen" standen.

Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam es zwischen dem Stift und den Ried­eseln zum Vergleich, und so trat wohl eine religiöse Ruhe ein.

Viele Jahrhunderte lang war Freiensteinau Gerichtsort. Gerichtsplatz war der Lindenküppel nahe der Kirche, eine uralte Mal- und Opferstätte. Die alten Lin­den standen bis 1840. Da fällte man auch die letzte, noch mit Fußeisen und Halsschellen versehen, böse Zungen und Betrüger an den Pranger zu stellen. Heute stehen längst wieder neue „alte" Linden. Hier also wurden Verbrechen geahndet, und wer das Leben verwirkt hatte, ging seinen letzten Gang bis an den Galgen vor die Naxburg, als Gehenkter dem nächtlichen Wanderer das Gruseln zu lehren. 1880 wurde der steinerne Galgen abgetragen, und da man. auch seinerzeit nicht gerade zartfühlend war, benutzte man die steinernen Säu­len als Stützpfeiler unter der Orgel der evangelischen Kirche.

Heute liegt der Platz die meiste Zeit des Jahres verträumt da. Nur zweimal jähr­lich hängt man dort noch welche mit dem Kopf nach unten: es sind die Ferkel, die man beim Ferkelmarkt erwerben will. Da gilt übrigens ein Handschlag noch mehr ein Wort.

Der 30jährige Krieg war sicher nicht der erste Aufruhr, der das Dorf heimsuchte und schädigte. Schon hundert Jahre vorher —1528— hatten riedeselische Bauern aus Freiensteinau am Aufruhr teilgenommen gegen die unbequemen und keinesfalls zartbesaiteten Herren.

Es gab ganze Bauern, halbe Bauern, Hintersiedler und Hirten, arbeitend und zinsend. Ganzer Bauer war, wer auch ganzen Spanndienst leisten konnte.

Das soziale Ansehen richtete sich also auch damals nach dem Besitztum an
Land und Vieh. Damit aber waren die wenigsten reich gesegnet. Viele zogen
jährlich vom Michaelistag bis nach Weihnachten in die Wetterau zum Dreschen um ihre Kreuzer zu verdienen.

Mit der Politik beschäftigte sich in alten Zeiten niemand. Nur Durchreisende brachten dann und wann eine „Zeitung", eine Nachricht von draußen.

Geselligkeit pflegte man in den Spinnstuben bei der Spanbeleuchtung. Das Spanbrennen war allerdings verboten wegen der akuten Feuergefahr für die strohgedeckten Häuser. Verboten war auch das „Tobacrauchen" außerhalb der Häuser und das Trocknen oder Dörren des Flachses vor dem Ofen.

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Alles nahm man nun nicht ernst; man brannte wohl Späne, denn die Öllämpchen stanken erbärmlich und rußten nicht minder. Niemand aber brannte den Span auf dem Hof, in der Scheune oder im Stall. Eine Buche für fünf fl. (Florin = Gulden) gab für ein Jahr Späne. Mit dem Feuer also ging man vorsichtig um.

1785, so wird vermeldet, besaß weder ein Ort um Freiensteinau noch der Gerichtsort selbst eine Spritze „aus Mangel an Fließwasser". Auf allgemeine Kosten hatte jeder Ort lediglich Feuerleitern, Feuerhaken und einige lederne Eimer angeschafft. Das Gericht war in „Divisionen" eingeteilt, sogenannte „Rollen" von 15 bis 20 Mann. Jeder „Rolle" war ein Unteroffizier vom Ausschuß vorgesetzt. Bei Feueralarm mußte jeder Einwohner bei seiner Rolle vor dem Hause seines Unter-Offiziers erscheinen. In Freiensteinau blieb ständig eine Rolle als Sicherheit zurück. Feuerwache zu üben war auch die Hauptaufgabe von Tag- und Nachtwächter. Der Tagwächter trug einen (unhandlichen) Spieß und teilte sich mit dem gemei­nen Hirten auch die Nachtwache über Strohdächer und unbeleuchtete Straßen. Eine Stube des Hirtenhauses diente als Wachlokal. Man unterschied die „Blas- und die Beiwache". Die Beiwache begann abends um 10 Uhr und endete „um die blasende Stund" mit dem Bemerken, „wann die blasende Wach In die Wachstube tritt, so hat sich die Beiwache ins Ort zum Patroullieren zu begeben und um die Stund, wann zu blasen ist, wieder im Wachthaus zu erscheinen".

Ja, so ging es bis 1913; Dann? Ade Strohdach. Willkommen Petroleumlampen auf den Straßen!

Und was liest man sonst noch aus „guter alter Zeit"?

1830 bis 1850 besondere Armut, Arbeitslosigkeit, keine Industrie, Hunger, Betteln und Hausieren. Eltern und Kinder betteln getrennt. Es kommt zu Auswanderun­gen von Bürgen von Altenschlirf bis Bermuthshain.

Eine Amtspost gab es von Freiensteinau nach Eisenbach. Pakete und Briefe trug man bis nach Birstein. 1868 bis 1872 gab es eine Personenpost von Grebenhain nach Steinau.

Dann gab es noch das Landbriefträgerfuhrwerk. Abfahrt morgens um 2 Uhr in Grebenhain. Abfahrt um 4 Uhr in Freiensteinau. Ankunft in Steinau um 6 Uhr; Anschluß mit dem Zug nach Frankfurt. Rückkehr von Frankfurt um 17 Uhr. Gegen 23 Uhr lag man wieder in seinem Bett in Grebenhain.

 

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Wie die Volkspoesie sich selbst einschätzt, zeigen folgende Verse:

Freiensteinau - die große Stadt      Holzmühl ist der Bettelsack
Fleschenbach der Rübenkübel         Radmühl ist der Deckel drüber  
        
Salz ist das Röslein rot                 Reichlos ist der bitt're Tod
 

Die Freiensteinauer waren jedoch nicht nur die reichen Stadtbewohner. Sie waren auch die „Mondscheinstürmer". Wie das kam? Im 30jährigen Krieg waren von 75 Häusern 45 zerstört worden durch Brand. Also war man gegen das Feuer besonders wachsam.

Da — Feueralarm! Feurio! In der Stollmühle brennt es! In der Stollmühle! Über Nebelschwaden und durch dräuendes Gewölk tanzt die Feuerkugel als Weg­weiser. Auf, Männer, auf Vorwärts! Hasten, Keuchen, Stolpern! Da noch durch den Wald! Da liegt die Stollmühle! Liegt friedlich im Scheine des Vollmondes, der im Verein mit dem Nebel die Feuerlöscher genarrt hatte.
Also: Mondscheinstürmer!

Übrigens, was eine reine Erfindung „des Blätterers" ist:

Ein Drehorgelmann übernachtete in Freiensteinau im Spritzenhaus. In Salz brach ein Feuer aus. In stock­dunkler Nacht rückte auch unsere Wehr ab. Auf dem „Kippel" kam das Gefährt arg in Fahrt. „Zuschrauwe!", schrie es, „Zuschrauwe!" Siehe da, als einer „an­leierte", da klang es fröhlich in die Nacht: „Jetzt geht's nach Lindenau, da ist der Himmel blau!"

Ganz recht, man hatte aus lauter Eifer den Leierkasten erwischt.

Wollen Sie noch wissen, wie alt die Wehren eigentlich sind?

Na, sagen wir — so alt wie das Bier. 

Verfasser, Hans Döpping, ca.1963, zu der Zeit Lehrer an der Schule in Salz. Erhalten im November 2008 von Manfred Hoyer, Leiter der Gemeindebibliothek.

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