In der
Chronik geblättert
Schon 860 werden Salzaha (Salz), Flescumbach (Fleschenbach) und
Steinaha (Freiensteinau) In der Chronik erwähnt. Freiensteinaus
Geschichte ist also bedeutender als es die Einwohnerzahl aussagt,
wenngleich auch die Menschen unseres Ortes weniger „Geschichte
machten" als „Geschichte erlitten".
Nach der ursprünglichen Bauweise der Gehöfte soll unser Dorf von
Alemannen gegründet worden sein. Sagen erzählen, die schweren Steine
des Wintersberges zeugten noch von heidnischer Kultstätte. Warum
heute diese Steine „Christkindleins Wiege" genannt werden, bleibt
der Auslegung des Lesers überlassen.
Beurkundet ist wohl, daß Freiensteinau seit etwa dem Jahre 1000 den
grundherrlichen Rechten des Stiftes zu Fulda unterstand. Später
zeigten die Herren Riedesel starkes Interesse an unserem Dorfe. Sie
brachten es dergestalt zu starkem Einfluß, daß Freiensteinau bald
Streitobjekt der beiden Parteien wurde, zumal die Riedesel 1525
evangelisch wurden und in ihrem Einflußgebiet die Pfarrsteilen
mit
Evangelischen besetzten. Freiensteinau blieb aber zunächst noch
Im
„fuldischen"
Griff. Der 30jährige Krieg brachte es dann mit sich, das im Auf und
Ab des Geschehens Freiensteinau diesem oder jenem Einfluß unterlag.
Reformation und Gegenreformation mögen die Einwohner unseres Ortes
in jener Zelt nach dem Nachtschlaf oft haben fragen lassen: „Sei mir
haut evangelisch, oder sei mir haut katholisch?", während „fuldische
Mannen" gegen „riedeselische Untertanen" standen.
Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam es zwischen dem Stift und
den Riedeseln zum Vergleich, und so trat wohl eine religiöse Ruhe
ein.
Viele Jahrhunderte lang war Freiensteinau Gerichtsort. Gerichtsplatz
war der Lindenküppel nahe der Kirche, eine uralte Mal- und
Opferstätte. Die alten Linden standen bis 1840. Da fällte man auch
die letzte, noch mit Fußeisen und Halsschellen versehen, böse Zungen
und Betrüger an den Pranger zu stellen. Heute stehen längst wieder
neue „alte" Linden. Hier also wurden Verbrechen geahndet, und wer
das Leben verwirkt hatte, ging seinen letzten Gang bis an den Galgen
vor die Naxburg, als Gehenkter dem nächtlichen Wanderer das Gruseln
zu lehren. 1880 wurde der steinerne Galgen abgetragen, und da man.
auch seinerzeit nicht gerade zartfühlend war, benutzte man die
steinernen Säulen als Stützpfeiler unter der Orgel der
evangelischen Kirche.
Heute liegt der Platz die meiste Zeit des Jahres verträumt da. Nur
zweimal jährlich hängt man dort noch welche mit dem Kopf nach
unten: es sind die Ferkel, die
man
beim Ferkelmarkt erwerben will. Da gilt übrigens ein Handschlag noch
mehr ein Wort.
Der 30jährige Krieg war sicher nicht der erste Aufruhr, der das Dorf
heimsuchte und schädigte. Schon hundert Jahre vorher —1528— hatten
riedeselische Bauern aus Freiensteinau am Aufruhr teilgenommen gegen
die unbequemen und keinesfalls zartbesaiteten Herren.
Es gab ganze Bauern, halbe Bauern, Hintersiedler und Hirten,
arbeitend und zinsend. Ganzer Bauer war, wer auch ganzen Spanndienst
leisten konnte.
Das soziale Ansehen richtete sich also auch damals nach dem
Besitztum an
Land und Vieh. Damit aber waren die wenigsten reich gesegnet. Viele
zogen
jährlich vom Michaelistag bis nach Weihnachten in die Wetterau zum
Dreschen um ihre Kreuzer zu verdienen.
Mit der Politik beschäftigte sich in alten Zeiten niemand. Nur
Durchreisende brachten dann und wann eine „Zeitung", eine Nachricht
von draußen.
Geselligkeit pflegte man in den Spinnstuben bei der Spanbeleuchtung.
Das Spanbrennen war allerdings verboten wegen der akuten Feuergefahr
für die strohgedeckten Häuser. Verboten war auch das „Tobacrauchen"
außerhalb der Häuser und das Trocknen oder Dörren des Flachses vor
dem Ofen.
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Alles nahm man nun nicht ernst; man brannte wohl Späne, denn die
Öllämpchen stanken erbärmlich
und
rußten nicht
minder. Niemand
aber brannte den Span auf dem Hof, in der Scheune oder im Stall.
Eine Buche für fünf fl. (Florin = Gulden) gab für ein Jahr Späne.
Mit dem Feuer also ging man vorsichtig um.
1785, so wird vermeldet, besaß weder ein Ort um Freiensteinau noch
der Gerichtsort selbst eine Spritze „aus Mangel an Fließwasser". Auf
allgemeine Kosten hatte jeder Ort lediglich Feuerleitern, Feuerhaken
und einige lederne Eimer angeschafft. Das Gericht war in
„Divisionen" eingeteilt, sogenannte „Rollen" von 15 bis 20 Mann.
Jeder „Rolle" war ein Unteroffizier vom Ausschuß vorgesetzt. Bei
Feueralarm mußte jeder Einwohner bei seiner Rolle vor dem Hause
seines Unter-Offiziers erscheinen. In Freiensteinau blieb ständig
eine Rolle als Sicherheit zurück. Feuerwache zu üben war auch die
Hauptaufgabe von Tag- und Nachtwächter. Der Tagwächter trug einen
(unhandlichen) Spieß und teilte sich mit dem gemeinen Hirten auch
die Nachtwache über Strohdächer und unbeleuchtete Straßen. Eine
Stube des Hirtenhauses diente als Wachlokal. Man unterschied die „Blas- und
die Beiwache". Die Beiwache begann abends um 10 Uhr und endete „um
die blasende Stund" mit dem Bemerken, „wann die blasende Wach In die
Wachstube tritt, so hat sich die Beiwache ins Ort zum Patroullieren
zu begeben und um die Stund, wann zu blasen ist, wieder im Wachthaus
zu erscheinen".
Ja, so ging es bis 1913; Dann? Ade Strohdach. Willkommen
Petroleumlampen auf den Straßen!
Und was liest man sonst noch aus „guter alter Zeit"?
1830 bis 1850 besondere Armut, Arbeitslosigkeit, keine Industrie,
Hunger, Betteln und Hausieren. Eltern und Kinder betteln getrennt.
Es
kommt zu Auswanderungen von Bürgen von Altenschlirf bis
Bermuthshain.
Eine Amtspost gab es von Freiensteinau nach Eisenbach. Pakete und
Briefe trug man bis nach Birstein. 1868 bis 1872 gab es eine
Personenpost von Grebenhain nach Steinau.
Dann gab
es
noch das Landbriefträgerfuhrwerk. Abfahrt morgens um 2 Uhr in
Grebenhain. Abfahrt um 4 Uhr in Freiensteinau. Ankunft in Steinau um
6 Uhr; Anschluß mit dem Zug nach Frankfurt. Rückkehr von Frankfurt
um 17 Uhr. Gegen 23 Uhr lag man wieder in seinem Bett in Grebenhain.
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Wie die Volkspoesie sich selbst einschätzt, zeigen folgende Verse:
Freiensteinau - die große Stadt
Holzmühl ist der Bettelsack Fleschenbach der Rübenkübel Radmühl ist der Deckel drüber
Salz ist das Röslein rot Reichlos
ist der bitt're Tod
Die Freiensteinauer waren jedoch nicht nur die reichen
Stadtbewohner. Sie waren auch die „Mondscheinstürmer". Wie das kam?
Im 30jährigen Krieg waren von 75 Häusern
45
zerstört worden durch Brand. Also war man gegen das Feuer besonders
wachsam.
Da — Feueralarm! Feurio! In der Stollmühle brennt es! In der
Stollmühle! Über Nebelschwaden und durch dräuendes Gewölk tanzt die
Feuerkugel als Wegweiser. Auf, Männer, auf Vorwärts! Hasten,
Keuchen, Stolpern! Da noch durch den Wald! Da liegt die Stollmühle!
Liegt friedlich im Scheine des Vollmondes, der im Verein mit dem
Nebel die Feuerlöscher genarrt hatte.
Also: Mondscheinstürmer!
Übrigens, was eine reine Erfindung „des Blätterers" ist:
Ein
Drehorgelmann übernachtete in Freiensteinau im Spritzenhaus. In
Salz brach ein Feuer aus. In stockdunkler Nacht rückte auch unsere
Wehr ab. Auf dem „Kippel" kam das Gefährt arg in Fahrt. „Zuschrauwe!",
schrie es, „Zuschrauwe!" Siehe da, als einer „anleierte", da klang
es fröhlich in die Nacht: „Jetzt geht's nach Lindenau, da ist der
Himmel blau!"
Ganz recht, man hatte aus lauter Eifer den Leierkasten erwischt.
Wollen Sie noch wissen, wie alt die Wehren eigentlich sind?
Na,
sagen wir — so alt wie das Bier.
Verfasser, Hans Döpping, ca.1963, zu der Zeit Lehrer an der Schule
in Salz.
Erhalten
im November 2008 von Manfred Hoyer,
Leiter der Gemeindebibliothek.
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